Die Revolution frisst ihre Kinder
Die wirtschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte haben massive Auswirkungen auf unsere Gesellschaften. Schaffen wir das?
Zurück zu den Maschinen, deren Entwicklung alle durch die Digitalisierung verursachten sozialen Änderungen der Informationsgesellschaft überholt hat – in einem Maße und mit Einschnitten wie noch nie zuvor. So wie es aussieht, überfordern die rasanten Änderungen Industrielle, Politiker und auch den Rest der Bevölkerung.
Die Möglichkeit, Elektromotoren (Schrittmotoren) mittels Sensoren, Kameras und „intelligenten“ Steuerungen für die Erfüllung praktisch aller komplexen, mechanischen Prozesse einzusetzen, macht menschliche Arbeit in diesen Bereichen überflüssig. Nur noch die Überwachung durch Spezialisten ist gefragt, Arbeit im herkömmlichen Sinne nicht mehr. Das gilt natürlich auch im Bereich Verwaltung und vielen weiteren, einstmals als „zukunftssicher“ geglaubten Tätigkeiten.
Schauen wir einmal an, was Maschinen im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts demnächst übernehmen werden bzw. schon übernommen haben:
- Handlanger und Hilfsarbeiten (Transportieren, Reinigen, Sortieren, Putzen,…)
- Dienstleistungen in unterschiedlichsten Bereichen (Belieferung mit Gütern, soziale Dienste, öffentliche Dienste, etc.)
- Einfache Arbeitsvorgänge (Biegen, Stanzen, Lackieren, Fräsen, Kleben, Montieren
- Autonomes Fahren – LKW, Busse, PKW, Metros, Straßenbahnen alleine unterwegs – zuerst sicher noch unter menschlicher Aufsicht, später höchstwahrscheinlich autark
- Komplexere Arbeitsvorgänge (z.B. Endmontage, aber zukünftig auch Hausbau, Modellbau durch 3-D Druck und stereolithographische Verfahren…)
- Entwurf neuer, besserer und effizienterer Maschinen durch Zugriff auf Datenbanken, Entwurfsalgorithmen, lernende, selbst optimierende Produktionsverfahren
- Mittleres Management (z.B. Schalterangestellte in Banken, Behörden, Versicherungen, Kleinkreditvergabe …)
- Höheres, mittleres Management + Verkauf (Bank, Versicherung, Vertrieb inkl. Vorbereitung und Abwicklung der Auslieferung, Aktienkauf und -verkauf…)
- Gesundheitswesen (Untersuchungen, Diagnosen, Operationen, Behandlungen und Therapien,…). Es gibt mittlereile einen nicht unerheblichen Teil unserer Bevölkerung, die sich lieber von einem medizinischen Roboter untersuchen lassen würden als von einem Arzt – warum auch immer!
- Geistig, schöpferische Tätigkeiten (Design, Musik, einfache Texte/Literatur, Bilder, Plastiken) – Milliarden von Fotos, Graphiken, Texten, Melodien, Vorlagen stehen zur Verfügung – alles nur noch ein Frage der Zusammensetzung…
- Landwirtschaftliche Erzeugung – GPS-gesteuerte Landmaschinen, Weiterverarbeitung, Analyse der Bodenbeschaffenheit vor Ort und Einleitung entsprechender Korrekturen…
Die Liste zeigt nur einen Ausschnitt der Veränderungen, die entweder schon in vollem Gange oder zu erwarten sind. Sie besagt „nur“, dass bislang exklusiv menschliche Prozesse übernommen werden weil Menschen kaum noch erforderlich sind und auch sehr komplexe, Vorgänge rechnergestützt automatisiert werden können.
Grundlage hierfür ist die sogenannte verteilte Intelligenz: Einzelnen Maschinen, bis hin zu ihren Teilen bzw. Teilbereichen, wird die Möglichkeit einer weitgehend selbständigen Vorgehensweise im oben beschriebenen Sinn ermöglicht. Das ist nicht wirklich neu, aber die umfangreiche Ausstattung mit Sensoren und Rechenkapazität wird in Zukunft noch sehr viel weiter reichen. Es ist zu erwarten, dass am Ende wahrscheinlich auch „kreative“ Leistungen übernommen werden. Wobei der Begriff „Kreativität“ noch genauer zu definieren wäre.
Wir stehen mitten in einem Wandel von bisher noch nie dagewesenem Ausmaß! Das war zwar in jeder früheren, industriellen Revolution auch der Fall. Der Mensch per se blieb aber nach einer Übergangszeit immer noch wichtig und die neuen Technologien schufen auch wieder neue Arbeitsplätze.
Diese Regel hat bei Lichte betrachtet ihre Richtigkeit verloren, da Neuerungen und Änderungen ununterbrochen entwickelt werden und mit zunehmender Geschwindigkeit unser Leben verändern. Arbeit, die in vielen Bereichen – ob einfach oder komplex – ihre Menschen ernährt, verschwindet. Die Güter und Leistungen erzeugen sich, besonders im Vergleich zu früheren Zeiten, auch heute schon praktisch von alleine. Und diese Bereiche weiten sich mit bedeutend höherer Geschwindigkeit aus, als neue Arbeit für Menschen entsteht.
Aber sind das nicht eigentlich paradiesische Verhältnisse? Das Schlaraffenland scheint näher zu rücken. Vielleicht ist Industrie 4.0 die Vorstufe zu Schlaraffenland 1.0 – zum Segen von allen. Weniger arbeiten, besser leben. Konzentration auf das „Wesentliche“ (wenn man denn weiß, was wesentlich ist…).
Die Frage, die sich nun stellt lautet: Kann eine Gesellschaft mit dieser neuen industriellen Revolution und deren umfangreichen Veränderungen zurechtkommen? Was, wenn sie es nicht kann? Wie werden die Konsequenzen wohl ausfallen?
Wird das Säugetier Mensch, so anthropozentrisch, egoistisch, rücksichts- und empathielos, raffgierig und brutal wie es ist, mit einem Wandel fertig werden, der unserer Art einerseits ein sicheres Überleben sichern kann, andererseits aber unseren Instinkten diametral entgegensteht? Das heißt, den Instinkten, die Homo sapiens seit je her dienen, um die Anforderungen des Überlebenskampfes zu bewältigen.
Schwer zu sagen! Mit einer auf rund siebeneinhalb Milliarden Menschen angewachsenen Weltbevölkerung, die sich den begrenzten Platz und die noch begrenzteren Ressourcen teilen müssen, erscheint das alte „Recht“ des Stärkeren vielen als der einzig richtige Weg. Nationalisten und Protektionisten finden gerade viel Zustimmung in bestimmten Kreisen, denen es immer noch blendend geht, deren Verlustängste aber die im vorigen Absatz genannten Eigenschaften (-arten) noch bestärken.